6 Die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion ist: [_p, _xi, N (_xi)].
Dies ist die allgemeine Form des Satzes.
6.001Dies sagt nichts anderes, als daß jeder Satz ein Resultat der successiven Anwendung der Operation N’ (_xi) auf die Elementarsätze ist.
6.002Ist die allgemeine Form gegeben, wie ein Satz gebaut ist, so ist damit auch schon die allgemeine Form davon gegeben, wie aus einem Satz durch eine Operation ein anderer erzeugt werden kann.
6.01Die allgemeine Form der Operation Omega (_eta) ist also: [_xi, N (_xi)]’ (_eta) (=[_eta, _xi, N (_xi)]).
Das ist die allgemeinste Form des Überganges von einem Satz zum anderen.
6.02Und so kommen wir zu den Zahlen: Ich definiere
 x=Omega0, x Def.
 OmegaOmegav, x=Omegav+1, x Def.
Nach diesen Zeichenregeln schreiben wir also die Reihe x, Omega x, Omega Omega x, Omega Omega Omega x, .....
so: Omega0, x, Omega0+1, x, Omega0+1+1, x, Omega0+1+1+1, x, .....
Also schreibe ich statt »[x, xi, Omega xi]«: »[Omega0, x, Omegav, x, Omegav+1, x]«.
Und definiere:
 0+1=1 Def.
 0+1+1=2 Def.
 0+1+1+1=3 Def.
 (usf.)
6.021Die Zahl ist der Exponent einer Operation.
6.022Der Zahlbegriff ist nichts anderes als das Gemeinsame aller Zahlen, die allgemeine Form der Zahl.
Der Zahlbegriff ist die variable Zahl.
Und der Begriff der Zahlengleichheit ist die allgemeine Form aller speziellen Zahlengleichheiten.
6.03Die allgemeine Form der ganzen Zahl ist: [0, xi, xi + 1].
6.031Die Theorie der Klassen ist in der Mathematik ganz überflüssig.
Dies hängt damit zusammen, daß die Allgemeinheit, welche wir in der Mathematik brauchen, nicht die zufällige ist.
6.1Die Sätze der Logik sind Tautologien.
6.11Die Sätze der Logik sagen also Nichts. (Sie sind die analytischen Sätze.)
6.111Theorien, die einen Satz der Logik gehaltvoll erscheinen lassen, sind immer falsch. Man könnte z.B. glauben, daß die Worte »wahr« und »falsch« zwei Eigenschaften unter anderen Eigenschaften bezeichnen, und da erschiene es als eine merkwürdige Tatsache, daß jeder Satz eine dieser Eigenschaften besitzt. Das scheint nun nichts weniger als selbstverständlich zu sein, ebensowenig selbstverständlich, wie etwa der Satz, »alle Rosen sind entweder gelb oder rot« klänge, auch wenn er wahr wäre. Ja, jener Satz bekommt nun ganz den Charakter eines naturwissenschaftlichen Satzes, und dies ist das sichere Anzeichen dafür, daß er falsch aufgefaßt wurde.
6.112Die richtige Erklärung der logischen Sätze muß ihnen eine einzigartige Stellung unter allen Sätzen geben.
6.113Es ist das besondere Merkmal der logischen Sätze, daß man am Symbol allein erkennen kann, daß sie wahr sind, und diese Tatsache schließt die ganze Philosophie der Logik in sich. Und so ist es auch eine der wichtigsten Tatsachen, daß sich die Wahrheit oder Falschheit der nichtlogischen Sätze nicht am Satz allein erkennen läßt.
6.12Daß die Sätze der Logik Tautologien sind, das zeigt die formalen – logischen – Eigenschaften der Sprache, der Welt.
Daß ihre Bestandteile so verknüpft eine Tautologie ergeben, das charakterisiert die Logik ihrer Bestandteile.
Damit Sätze, auf bestimmte Art und Weise verknüpft, eine Tautologie ergeben, dazu müssen sie bestimmte Eigenschaften der Struktur haben. Das sie so verbunden eine Tautologie ergeben, zeigt also, daß sie diese Eigenschaften der Struktur besitzen.
6.1201Daß z.B. die Sätze »p« und »~p« in der Verbindung »~ (p . ~p)« eine Tautologie ergeben, zeigt daß sie einander widersprechen. Daß die Sätze »pimpliesq«, »p« und »q« in der Form »(pimpliesq) . (p):implies:(q)« miteinander verbunden eine Tautologie ergeben, zeigt, daß q aus p und pimpliesq folgt. Daß »(x) . fx:implies:fa« eine Tautologie ist, daß fa aus (x) . fx folgt. etc. etc.
6.1202Es ist klar, daß man zu demselben Zweck statt der Tautologien auch die Kontradiktionen verwenden könnte.
6.1203Um eine Tautologie als solche zu erkennen, kann man sich, in den Fällen, in welchen in der Tautologie keine Allgemeinheitsbezeichnung vorkommt, folgender anschaulichen Methode bedienen: Ich schreibe statt »p«, »q«, »r« etc. »WpF«, »WqF«, »WrF« etc. Die Wahrheitskombination drücke ich durch Klammern aus. Z.B.:
Grafik
 
und die Zuordnung der Wahr- oder Falschheit des ganzen Satzes und der Wahrheitskombinationen der Wahrheitsargumente durch Striche auf folgende Weise:
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Dies Zeichen würde also z.B. den Satz pimpliesq darstellen. Nun will ich z.B. den Satz ~(p. ~q) (Gesetz des Widerspruchs) daraufhin untersuchen, ob er eine Tautologie ist. Die Form »~xi« wird in unserer Notation
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geschrieben; die Form »xi . eta« so:
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Daher lautet der Satz ~(p. ~q) so:
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Setzen wir statt »q« »p« ein und untersuchen die Verbindung der äußersten W und F mit den innersten, so ergibt sich, das die Wahrheit des ganzen Satzes allen Wahrheitskombinationen seines Argumentes, seine Falschheit keiner der Wahrheitskombinationen zugeordnet ist.
6.121Die Sätze der Logik demonstrieren die logischen Eigenschaften der Sätze, indem sie sie zu nichtssagenden Sätzen verbinden.
Diese Methode könnte man auch eine Nullmethode nennen. Im logischen Satz werden Sätze miteinander ins Gleichgewicht gebracht und der Zustand des Gleichgewichts zeigt dann an, wie diese Sätze logisch beschaffen sein müssen.
6.122Daraus ergibt sich, daß wir auch ohne die logischen Sätze auskommen können, da wir ja in einer entsprechenden Notation die formalen Eigenschaften der Sätze durch das bloße Ansehen dieser Sätze erkennen können.
6.1221Ergeben z.B. zwei Sätze »p« und »q« in der Verbindung »pimplies eine Tautologie, so ist klar, das q aus p folgt.
Das z.B. »q« aus »pimpliesq .  folgt, ersehen wir aus diesen beiden Sätzen selbst, aber wir können es auch so zeigen, indem wir sie zu »pimpliesq . p:implies:q« verbinden und nun zeigen, daß dies eine Tautologie ist.
6.1222Dies wirft ein Licht auf die Frage, warum die logischen Sätze nicht durch die Erfahrung bestätigt werden können, ebenso wenig, wie sie durch die Erfahrung widerlegt werden können. Nicht nur muß ein Satz der Logik durch keine mögliche Erfahrung widerlegt werden können, sondern er darf auch nicht durch eine solche bestätigt werden können.
6.1223Nun wird klar, warum man oft fühlte, als wären die »logischen Wahrheiten« von uns zu »fordern«: Wir können sie nämlich insofern fordern, als wir eine genügende Notation fordern können.
6.1224Es wird jetzt auch klar, warum die Logik die Lehre von den Formen und vom Schließen genannt wurde.
6.123Es ist klar: Die logischen Gesetze dürfen nicht selbst wieder logischen Gesetzen unterstehen.
(Es gibt nicht, wie Russell meinte, für jede »Type« ein eigenes Gesetz des Widerspruches, sondern Eines genügt, da es auf sich selbst nicht angewendet wird.)
6.1231Das Anzeichen des logischen Satzes ist nicht die Allgemeingültigkeit.
Allgemein sein, heißt ja nur: Zufälligerweise für alle Dinge gelten. Ein unverallgemeinerter Satz kann ja ebensowohl tautologisch sein als ein verallgemeinerter.
6.1232Die logische Allgemeingültigkeit könnte man wesentlich nennen, im Gegensatz zu jener zufälligen, etwa des Satzes »alle Menschen sind sterblich«. Sätze, wie Russells »Axiom of reducibility« sind nicht logische Sätze, und dies erklärt unser Gefühl: Daß sie, wenn wahr, so doch nur durch einen günstigen Zufall wahr sein könnten.
6.1233Es läßt sich eine Welt denken, in der das Axiom of reducibility nicht gilt. Es ist aber klar, daß die Logik nichts mit der Frage zu schaffen hat, ob unsere Welt wirklich so ist oder nicht.
6.124Die logischen Sätze beschreiben das Gerüst der Welt, oder vielmehr, sie stellen es dar. Sie »handeln« von nichts. Sie setzen voraus, daß Namen Bedeutung, und Elementarsätze Sinn haben: Und dies ist ihre Verbindung mit der Welt. Es ist klar, daß es etwas über die Welt anzeigen muß, daß gewisse Verbindungen von Symbolen – welche wesentlich einen bestimmten Charakter haben – Tautologien sind. Hierin liegt das Entscheidende. Wir sagten, manches an den Symbolen, die wir gebrauchen, wäre willkürlich, manches nicht. In der Logik drückt nur dieses aus: Das heißt aber, in der Logik drücken nicht wir mit Hilfe der Zeichen aus, was wir wollen, sondern in der Logik sagt die Natur der naturnotwendigen Zeichen selbst aus: Wenn wir die logische Syntax irgendeiner Zeichensprache kennen, dann sind bereits alle Sätze der Logik gegeben.
6.125Es ist möglich, und zwar auch nach der alten Auffassung der Logik, von vornherein eine Beschreibung aller »wahren« logischen Sätze zu geben.
6.1251Darum kann es in der Logik auch nie Überraschungen geben.
6.126Ob ein Satz der Logik angehört, kann man berechnen, indem man die logischen Eigenschaften des Symbols berechnet.
Und dies tun wir, wenn wir einen logischen Satz »beweisen«. Denn, ohne uns um einen Sinn und eine Bedeutung zu kümmern, bilden wir den logischen Satz aus anderen nach bloßen Zeichenregeln.
Der Beweis der logischen Sätze besteht darin, daß wir sie aus anderen logischen Sätzen durch successive Anwendung gewisser Operationen entstehen lassen, die aus den ersten immer wieder Tautologien erzeugen. (Und zwar folgen aus einer Tautologie nur Tautologien.)
Natürlich ist die Art zu zeigen, daß ihre Sätze Tautologien sind, der Logik durchaus unwesentlich. Schon darum, weil die Sätze, von welchen der Beweis ausgeht, ja ohne Beweis zeigen müssen, daß sie Tautologien sind.
6.1261In der Logik sind Prozeß und Resultat äquivalent. (Darum keine Überraschung.)
6.1262Der Beweis in der Logik ist nur ein mechanisches Hilfsmittel zum leichteren Erkennen der Tautologie, wo sie kompliziert ist.
6.1263Es wäre ja auch zu merkwürdig, wenn man einen sinnvollen Satz logisch aus anderen beweisen könnte, und einen logischen Satz auch. Es ist von vornherein klar, daß der logische Beweis eines Sinnvollen Satzes und der Beweis in der Logik zwei ganz verschiedene Dinge sein müssen.
6.1264Der sinnvolle Satz sagt etwas aus, und sein Beweis zeigt, daß es so ist; in der Logik ist jeder Satz die Form eines Beweises.
Jeder Satz der Logik ist ein in Zeichen dargestellter modus ponens. (Und den modus ponens kann man nicht durch einen Satz ausdrücken.)
6.1265Immer kann man die Logik so auffassen, daß jeder Satz sein eigener Beweis ist.
6.127Alle Sätze der Logik sind gleichberechtigt, es gibt unter ihnen nicht wesentlich Grundgesetze und abgeleitete Sätze.
Jede Tautologie zeigt selbst, daß sie eine Tautologie ist.
6.1271Es ist klar, daß die Anzahl der »logischen Grundgesetze« willkürlich ist, denn man könnte die Logik ja aus Einem Grundgesetz ableiten, in dem man einfach z.B. aus Freges Grundgesetzen das logische Produkt bildet. (Frege würde vielleicht sagen, daß dieses Grundgesetz nun nicht mehr unmittelbar einleuchte. Aber es ist merkwürdig, daß ein so exakter Denker wie Frege sich auf den Grad des Einleuchten als Kriterium des logischen Satzes berufen hat.)
6.13Die Logik ist keine Lehre, sondern ein Spiegelbild der Welt.
Die Logik ist transcendental.
6.2Die Mathematik ist eine logische Methode.
Die Sätze der Mathematik sind Gleichungen, also Scheinsätze.
6.21Der Satz der Mathematik drückt keinen Gedanken aus.
6.211Im Leben ist es ja nie der mathematische Satz, den wir brauchen, sondern wir benützen den mathematischen Satz nur, um aus Sätzen, welche nicht der Mathematik angehören, auf andere zu schließen, welche gleichfalls nicht der Mathematik angehören.
(In der Philosophie führt die Frage »wozu gebrauchen wir eigentlich jenes Wort, jenen Satz« immer wieder zu wertvollen Einsichten.)
6.22Die Logik der Welt, die die Sätze der Logik in den Tautologien zeigen, zeigt die Mathematik in den Gleichungen.
6.23Wenn zwei Ausdrücke durch das Gleichheitszeichen verbunden werden, so heißt das, sie sind durch einander ersetzbar. Ob dies aber der Fall ist, muß sich an den beiden Ausdrücken selbst zeigen.
Es charakterisiert die logische Form zweier Ausdrücke, daß sie durch einander ersetzbar sind.
6.231Es ist eine Eigenschaft der Bejahung, daß man sie als doppelte Verneinung auffassen kann.
Es ist eine Eigenschaft von »1+1+1+1«, daß man es als »(1+1)+(1+1)« auffassen kann.
6.232Frege sagt, die beiden Ausdrücke haben dieselbe Bedeutung, aber verschiedenen Sinn.
Das Wesentliche an der Gleichung ist aber, daß sie nicht notwendig ist, um zu zeigen, daß die beiden Ausdrücke, die das Gleichheitszeichen verbindet, dieselbe Bedeutung haben, da sich dies aus den beiden Ausdrücken selbst ersehen läßt.
6.2321Und, daß die Sätze der Mathematik bewiesen werden können, heißt ja nichts anderes, als daß ihre Richtigkeit einzusehen ist, ohne daß das, was sie ausdrücken, selbst mit den Tatsachen auf seine Richtigkeit hin verglichen werden muß.
6.2322Die Identität der Bedeutung zweier Ausdrücke läßt sich nicht behaupten. Denn um etwas von ihrer Bedeutung behaupten zu können, muß ich ihre Bedeutung kennen: und indem ich ihre Bedeutung kenne, weiß ich, ob sie dasselbe oder verschiedenes bedeuten.
6.2323Die Gleichung kennzeichnet nur den Standpunkt, von welchem ich die beiden Ausdrücke betrachte, nämlich vom Standpunkte ihrer Bedeutungsgleichheit.
6.233Die Frage, ob man zur Lösung der mathematischen Probleme die Anschauung brauche, muß dahin beantwortet werden, daß eben die Sprache hier die nötige Anschauung liefert.
6.2331Der Vorgang des Rechnens vermittelt eben diese Anschauung.
Die Rechnung ist kein Experiment.
6.234Die Mathematik ist eine Methode der Logik.
6.2341Das Wesentliche der mathematischen Methode ist es, mit Gleichungen zu arbeiten. Auf dieser Methode beruht es nämlich, daß jeder Satz der Mathematik sich von selbst verstehen muß.
6.24Die Methode der Mathematik, zu ihren Gleichungen zu kommen, ist die Subsitutionsmethode.
Denn die Gleichungen drücken die Ersetzbarkeit zweier Ausdrücke aus, und wir schreiten von einer Anzahl von Gleichungen zu neuen Gleichungen vor, indem wir, den Gleichungen entsprechend, Ausdrücke durch andere ersetzen.
6.241So lautet der Beweis des Satzes 2x2=4:
 (Omegav)myx= Omegavxmyx Def.
 Omega2x2’x=(Omega2)2’x=(Omega2)1+1’x=Omega2’Omega2’x=
 Omega1+1’Omega1+1’x=(OmegaOmega)’(OmegaOmega)’x= OmegaOmegaOmegaOmega’x=
 Omega1+1+1+1’x=Omega4’x.
6.3Die Erforschung der Logik bedeutet die Erforschung aller Gesetzmäßigkeit. Und außerhalb der Logik ist alles Zufall.
6.31Das sogenannte Gesetz der Induktion kann jedenfalls kein logisches Gesetz sein, denn es ist offenbar ein sinnvoller Satz. – Und darum kann es auch kein Gesetz a priori sein.
6.32Das Kausalitätsgesetz ist kein Gesetz, sondern die Form eines Gesetzes.
6.321»Kausalitätsgesetz«, das ist ein Gattungsname. Und wie es in der Mechanik, sagen wir, Minimum-Gesetze gibt, – etwa der kleinsten Wirkung – so gibt es in der Physik Kausalitätsgesetze, Gesetze von der Kausalitätsform.
6.3211Man hat ja auch davon eine Ahnung gehabt, daß es ein »Gesetz der kleinsten Wirkung« geben müsse, ehe man wußte, wie es lautete. (Hier, wie immer, stellt sich das a priori Gewisse als etwas rein Logisches heraus.)
6.33Wir glauben nicht a priori an ein Erhaltungsgesetz, sondern wir wissen a priori die Möglichkeit einer logischen Form.
6.34Alle jene Sätze, wie der Satz vom Grunde, von der Kontinuität in der Natur, vom kleinsten Aufwande in der Natur etc. etc., alle diese sind Einsichten a priori über die mögliche Formgebung der Sätze der Wissenschaft.
6.341Die Newtonsche Mechanik z.B. bringt die Weltbeschreibung auf eine einheitliche Form. Denken wir uns eine weiße Fläche, auf der unregelmäßige schwarze Flecken wären. Wir sagen nun: Was für ein Bild immer hierdurch entsteht, immer kann ich seiner Beschreibung beliebig nahe kommen, indem ich die Fläche mit einem entsprechend feinen quadratischen Netzwerk bedecke und nun von jedem Quadrat sage, daß es weiß oder schwarz ist. Ich werde auf diese Weise die Beschreibung der Fläche auf eine einheitliche Form gebracht heben. Diese Form ist beliebig, denn ich hätte mit dem gleichen Erfolg ein Netz aus dreieckigen oder sechseckigen Maschen verwenden können. Es kann sein, daß die Beschreibung mit Hilfe eines Dreiecks-Netzes einfacher geworden wäre; das heißt, daß wir die Fläche mit einem gröberen Dreiecks-Netz genauer beschreiben könnten als mit einem feineren quadratischen (oder umgekehrt) usw. Den verschiedenen Netzen entsprechen verschiedene Systeme der Weltbeschreibung. Die Mechanik bestimmt eine Form der Weltbeschreibung, indem sie sagt: Alle Sätze der Weltbeschreibung müssen aus einer Anzahl gegebener Sätze – den mechanischen Axiomen – auf eine gegebene Art und Weise erhalten werden. Hierdurch liefert sie die Bausteine zum Bau des wissenschaftlichen Gebäudes und sagt: Welches Gebäude immer du aufführen willst, jedes mußt du irgendwie mit diesen und nur diesen Bausteinen zusammenbringen.
(Wie man mit dem Zahlensystem jede beliebige Anzahl, so muß man mit dem System der Mechanik jeden beliebigen Satz der Physik hinschreiben können.)
6.342Und nun sehen wir die gegenseitige Stellung von Logik und Mechanik. (Man könnte das Netz auch aus verschiedenartigen Figuren etwa aus Dreiecken und Sechsecken bestehen lassen.) Das sich ein Bild, wie das vorhin erwähnte, durch ein Netz von gegebener Form beschreiben läßt, sagt über das Bild nichts aus. (Denn dies gilt für jedes Bild dieser Art.) Das aber charakterisiert das Bild, daß es sich durch ein bestimmtes Netz von bestimmter Feinheit vollständig beschreiben läßt.
So auch sagt es nichts über die Welt aus, daß sie sich durch die Newtonsche Mechanik beschreiben läßt; wohl aber, daß sie sich so durch jene beschreiben läßt, wie dies eben der Fall ist. Auch das sagt etwas über die Welt, daß sie sich durch die eine Mechanik einfacher beschreiben läßt als durch die andere.
6.343Die Mechanik ist ein Versuch, alle wahren Sätze, die wir zur Weltbeschreibung brauchen, nach Einem Plane zu konstruieren.
6.3431Durch den ganzen logischen Apparat hindurch sprechen die physikalischen Gesetze doch von den Gegenständen der Welt.
6.3432Wir dürfen nicht vergessen, daß die Weltbeschreibung durch die Mechanik immer die ganz allgemeine ist. Es ist in ihr z.B. nie von bestimmten materiellen Punkten die Rede, sondern immer nur von irgendwelchen.
6.35Obwohl die Flecke in unserem Bild geometrische Figuren sind, so kann doch selbstverständlich die Geometrie gar nichts über ihre tatsächliche Form und Lage sagen. Das Netz aber ist rein geometrisch, alle seine Eigenschaften können a priori angegeben werden.
Gesetze, wie der Satz vom Grunde, etc., handeln vom Netz, nicht von dem, was das Netz beschreibt.
6.36Wenn es ein Kausalitätsgesetz gäbe, so könnte es lauten: »Es gibt Naturgesetze«.
Aber freilich kann man das nicht sagen: es zeigt sich.
6.361In der Ausdrucksweise Hertz’s könnte man sagen: Nur gesetzmäßige Zusammenhänge sind denkbar.
6.3611Wir können keinen Vorgang mit dem »Ablauf der Zeit« vergleichen – diesen gibt es nicht –, sondern nur mit einem anderen Vorgang (etwa mit dem Gang des Chronometers).
Daher ist die Beschreibung des zeitlichen Verlaufs nur so möglich, daß wir uns auf einen anderen Vorgang stützen.
Ganz Analoges gilt für den Raum. Wo man z.B. sagt, es könne keines von zwei Ereignissen (die sich gegenseitig ausschließen) eintreten, weil keine Ursache vorhanden sei, warum das eine eher als das andere eintreten solle, da handelt es sich in Wirklichkeit darum, daß man gar nicht eines der beiden Ereignisse beschreiben kann, wenn nicht irgend eine Asymmetrie vorhanden ist. Und wenn eine solche Asymmetrie vorhanden ist, so können wir diese als Ursache des Eintreffens des einen und Nicht-Eintreffens des anderen auffassen.
6.36111Das Kantsche Problem von der rechten und linken Hand, die man nicht zur Deckung bringen kann, besteht schon in der Ebene, ja im eindimensionalen Raum, wo die beiden kongruenten Figuren a und b auch nicht zur Deckung gebracht werden können, ohne aus diesem Raum
Grafik
 
herausbewegt zu werden. Rechte und linke Hand sind tatsächlich vollkommen kongruent. Und daß man sie nicht zur Deckung bringen kann, hat damit nichts zu tun.
Den rechten Handschuh könnte man an die linke Hand ziehen, wenn man ihn im vierdimensionalen Raum umdrehen könnte.
6.362Was sich beschreiben läßt, daß kann auch geschehen, und was das Kausalitätsgesetz ausschließen soll, daß läßt sich auch nicht beschreiben.
6.363Der Vorgang der Induktion besteht darin, daß wir das einfachste Gesetz annehmen, das mit unseren Erfahrungen in Einklang zu bringen ist.
6.3631Dieser Vorgang hat aber keine logische, sondern nur eine psychologische Begründung.
Es ist klar, daß kein Grund vorhanden ist, zu glauben, es werde nun auch wirklich der einfachste Fall eintreten.
6.36311Daß die Sonne morgen aufgehen wird, ist eine Hypothese; und das heißt: wir wissen nicht, ob sie aufgehen wird.
6.37Einen Zwang, nach dem Eines geschehen müßte, weil etwas anderes geschehen ist, gibt es nicht. Es gibt nur eine logische Notwendigkeit.
6.371Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zugrunde, daß die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien.
6.372So bleiben sie bei den Naturgesetzen als bei etwas Unantastbarem stehen, wie die älteren bei Gott und dem Schicksal.
Und sie haben ja beide Recht, und Unrecht. Die Alten sind allerdings insofern klarer, als sie einen klaren Abschluß anerkennen, während es bei dem neuen System so scheinen soll, als sei alles erklärt.
6.373Die Welt ist unabhängig von meinem Willen.
6.374Auch wenn alles, was wir wünschen, geschähe, so wäre dies doch nur, sozusagen, eine Gnade des Schicksals, den es ist kein logischer Zusammenhang zwischen Willen und Welt, der dies verbürgte, und den angenommenen physikalischen Zusammenhang könnten wir doch nicht selbst wieder wollen.
6.375Wie es nur eine logische Notwendigkeit gibt, so gibt es auch nur eine logische Unmöglichkeit.
6.3751Das z.B zwei Farben zugleich an einem Ort des Gesichtsfeldes sind, ist unmöglich und zwar logisch unmöglich, denn es ist durch die logische Struktur der Farbe ausgeschlossen.
Denken wir daran, wie sich dieser Widerspruch in der Physik darstellt: Ungefähr so, daß ein Teilchen nicht zur gleichen Zeit zwei Geschwindigkeiten haben kann, das heißt, daß es nicht zu gleicher Zeit an zwei Orten sein kann; das heißt, daß Teilchen an verschiedenen Orten zu Einer Zeit nicht identisch sein können.
(Es ist klar, daß das logische Produkt zweier Elementarsätze weder eine Tautologie noch eine Kontradiktion sein kann. Die Aussage, daß ein Punkt des Gesichtsfeldes zu gleicher Zeit zwei verschiedene Farben hat, ist eine Kontradiktion.)
6.4Alle Sätze sind gleichwertig.
6.41Der Sinn der Welt muß außerhalb ihrer liegen. In der Welt ist alles wie es ist und geschieht alles wie es geschieht; es gibt in ihr keinen Wert – und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert.
Wenn es einen Wert gibt, der Wert hat, so muß er außerhalb alles Geschehens und So-Seins liegen. Denn alles Geschehen und So-Sein ist zufällig.
Was es nicht-zufällig macht, kann nicht in der Welt liegen; denn sonst wäre dies wieder zufällig.
Es muß außerhalb der Welt liegen.
6.42Darum kann es auch keine Sätze der Ethik geben. Sätze können nichts Höheres ausdrücken.
6.421Es ist klar, daß sich die Ethik nicht aussprechen läßt.
Die Ethik ist transcendental.
(Ethik und Aesthetik sind Eins.)
6.422Der erste Gedanke bei der Aufstellung eines ethischen Gesetzes von der Form »du sollst ....« ist: Und was dann, wenn ich es nicht tue? Es ist aber klar, daß die Ethik nichts mit Strafe und Lohn im gewöhnlichen Sinne zu tun hat. Also muß diese Frage nach den Folgen einer Handlung belanglos sein. – Zum Mindesten dürfen diese Folgen nicht Ereignisse sein. Denn etwas muß doch an jener Fragestellung richtig sein. Es muß zwar eine Art von ethischem Lohn und ethischer Strafe geben, aber diese müssen in der Handlung selbst liegen.
(Und das ist auch klar, daß der Lohn etwas Angenehmes, die Strafe etwas Unangenehmes sein muß.)
6.423Vom Willen als dem Träger des Ethischen kann nicht gesprochen werden.
Und der Wille als Phänomen interessiert nur die Psychologie.
6.43Wenn das gute oder böse Wollen die Welt ändert, so kann es nur die Grenzen der Welt ändern, nicht die Tatsachen; nicht das, was durch die Sprache ausgedrückt werden kann.
Kurz, die Welt muß dann dadurch überhaupt eine andere werden. Sie muß sozusagen als Ganzes abnehmen oder zunehmen.
Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.
6.431Wie auch beim Tod die Welt sich nicht ändert, sondern aufhört.
6.4311Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht nicht.
Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt.
Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld grenzenlos ist.
6.4312Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des Menschen, das heißt also ihr ewiges Fortleben nach dem Tode, ist nicht nur auf keine Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das, was man immer mit ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch ein Rätsel gelöst, daß ich ewig fortlebe? Ist denn dieses ewige Leben dann nicht eben so rätselhaft wie das gegenwärtige? Die Lösung des Rätsels des Lebens in Raum und Zeit liegt außerhalb von Raum und Zeit.
(Nicht Probleme der Naturwissenschaft sind ja zu lösen.)
6.432Wie die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in der Welt.
6.4321Die Tatsachen gehören alle nur zur Aufgabe, nicht zur Lösung.
6.44Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.
6.45Die Anschauung der Welt sub specie aeterni ist ihre Anschauung als-begrenztes-Ganzes.
Das Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes ist das mystische.
6.5Zu einer Antwort, die man nicht aussprechen kann, kann man auch die Frage nicht aussprechen.
Das Rätsel gibt es nicht.
Wenn sich eine Frage überhaupt stellen läßt, so kann sie auch beantwortet werden.
6.51Skeptizismus ist nicht unwiderleglich, sondern offenbar unsinnig, wenn er bezweifeln will, wo nicht gefragt werden kann.
Denn Zweifel kann nur bestehen, wo eine Frage besteht; eine Frage nur, wo eine Antwort besteht, und diese nur, wo etwas gesagt werden kann.
6.52Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.
6.521Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.
(Ist nicht dies der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langem Zweifel klar wurde, warum diese dann nicht sagen konnten, worin dieser Sinn bestand.)
6.522Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.
6.53Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen läßt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat –, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, daß er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, daß wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige.
6.54Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.)
Er muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.