2 Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.
2.01Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen (Sachen,Dingen).
2.011Es ist dem Ding wesentlich, der Bestandteil eines Sachverhaltes sein zu können.
2.012In der Logik ist nichts zufällig: Wenn das Ding im Sachverhalt vorkommen kann, so muß die Möglichkeit des Sachverhaltes im Ding bereits präjudiziert sein.
2.0121Es erschiene gleichsam als Zufall, wenn dem Ding, daß allein für sich bestehen könnte, nachträglich eine Sachlage passen würde.
Wenn die Dinge in Sachverhalten vorkommen können, so muß dies schon in ihnen liegen.
(Etwas Logisches kann nicht nur-möglich sein. Die Logik handelt von jeder Möglichkeit, und alle Möglichkeiten sind ihre Tatsachen.)
Wie wir uns räumliche Gegenstände überhaupt nicht außerhalb des Raumes, zeitliche nicht außerhalb der Zeit denken können, so können wir uns keinen Gegenstand außerhalb der Möglichkeiten seiner Verbindung mit anderen denken.
Wenn ich mir den Gegenstand im Verbande des Sachverhalts denken kann, so kann ich ihn nicht außerhalb der Möglichkeit dieses Verbandes denken.
2.0122Das Ding ist selbständig, insofern es in allen möglichen Sachlagen vorkommen kann, aber diese Form der Selbständigkeit ist eine Form des Zusammenhangs mit dem Sachverhalt, eine Form der Unselbständigkeit. (Es ist unmöglich, daß Worte in zwei verschiedenen Weisen auftreten, allein und im Satz.)
2.0123Wenn ich den Gegenstand kenne, so kenne ich auch sämtliche Möglichkeiten seines Vorkommens in Sachverhalten.
(Jede solche Möglichkeit muß in der Natur des Gegenstandes liegen.)
Es kann nicht nachträglich eine neue Möglichkeit gefunden werden.
2.01231Um einen Gegenstand zu kennen, muß ich zwar nicht seine externen – aber ich muß alle seine internen Eigenschaften kennen.
2.0124Sind alle Gegenstände gegeben, so sind damit auch alle möglichen Sachverhalte gegeben.
2.013Jedes Ding ist, gleichsam, in einem Raume möglicher Sachverhalte. Diesen Raum kann ich mir leer denken, nicht aber das Ding ohne den Raum.
2.0131Der räumliche Gegenstand muß im unendlichen Raume liegen. (Der Raumpunkt ist eine Argumentstelle.)
Der Fleck im Gesichtsfeld muß zwar nicht rot sein, aber eine Farbe muß er haben: er hat sozusagen den Farbenraum um sich. Der Ton muß eine Höhe haben, der Gegenstand des Tastsinnes eine Härte haben usw.
2.014Die Gegenstände enthalten die Möglichkeit aller Sachlagen.
2.0141Die Möglichkeit seines Vorkommens in Sachverhalten ist die Form des Gegenstandes.
2.02Der Gegenstand ist einfach.
2.0201Jede Aussage über Komplexe läßt sich in eine Aussage über deren Bestandteile und in diejenigen Sätze zerlegen, welche die Komplexe vollständig beschreiben.
2.021Die Gegenstände bilden die Substanz der Welt. Darum können sie nicht zusammengesetzt sein.
2.0211Hätte die Welt keine Substanz, so würde, ob ein Satz Sinn hat, davon abhängen, ob ein anderer Satz wahr ist.
2.0212Es wäre dann unmöglich, ein Bild der Welt (wahr oder falsch) zu entwerfen.
2.022Es ist offenbar, daß auch eine von der wirklichen noch so verschieden gedachte Welt Etwas – eine Form – mit der wirklichen gemein haben muß.
2.023Diese feste Form besteht eben aus den Gegenständen.
2.0231Die Substanz der Welt kann nur eine Form und keine materiellen Eigenschaften bestimmen. Denn diese werden erst durch die Sätze dargestellt – erst durch die Konfiguration der Gegenstände gebildet.
2.0232Beiläufig gesprochen: Die Gegenstände sind farblos.
2.0233Zwei Gegenstände von der gleichen logischen Form sind – abgesehen von ihren externen Eigenschaften – von einander nur dadurch unterschieden, daß sie verschieden sind.
2.02331Entweder ein Ding hat Eigenschaften, die kein anderes hat, dann kann man es ohne weiteres durch eine Beschreibung aus den anderen herausheben, und darauf hinweisen; oder aber, es gibt mehrere Dinge, die ihre sämtlichen Eigenschaften gemeinsam haben, dann ist es überhaupt unmöglich auf eines von ihnen zu zeigen.
Denn, ist das Ding durch nichts hervorgehoben, so kann ich es nicht hervorheben, den sonst ist es eben hervorgehoben.
2.024Die Substanz ist das, was unabhängig von dem was der Fall ist, besteht.
2.025Sie ist Form und Inhalt.
2.0251Raum, Zeit und Farbe (Färbigkeit) sind Formen der Gegenstände.
2.026Nur wenn es Gegenstände gibt, kann es eine feste Form der Welt geben.
2.027Das Feste, das Bestehende und der Gegenstand sind Eins.
2.0271Der Gegenstand ist das Feste, Bestehende; die Konfiguration ist das Wechselnde, Unbeständige.
2.0272Die Konfiguration der Gegenstände bildet den Sachverhalt.
2.03Im Sachverhalt hängen die Gegenstände ineinander, wie die Glieder einer Kette.
2.031Im Sachverhalt verhalten sich die Gegenstände in bestimmter Art und Weise zueinander.
2.032Die Art und Weise, wie die Gegenstände im Sachverhalt zusammenhängen, ist die Struktur des Sachverhaltes.
2.033Die Form ist die Möglichkeit der Struktur.
2.034Die Struktur der Tatsache besteht aus den Strukturen der Sachverhalte.
2.04Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte ist die Welt.
2.05Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte bestimmt auch, welche Sachverhalte nicht bestehen.
2.06Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit.
(Das Bestehen von Sachverhalten nennen wir auch eine positive, das Nichtbestehen eine negative Tatsache.)
2.061Die Sachverhalte sind von einander unabhängig.
2.062Aus dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Sachverhaltes kann nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines anderen geschlossen werden.
2.063Die gesamte Wirklichkeit ist die Welt.
2.1Wir machen uns Bilder der Tatsachen.
2.11Das Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten vor.
2.12Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.
2.13Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes.
2.131Die Elemente des Bildes vertreten im Bild die Gegenstände.
2.14Das Bild besteht darin, daß sich seine Elemente in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten.
2.141Das Bild ist eine Tatsache.
2.15Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten, stellt vor, daß sich die Sachen so zu einander verhalten.
Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heiße seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung.
2.151Die Form der Abbildung ist die Möglichkeit, daß sich die Dinge so zu einander verhalten, wie die Elemente des Bildes.
2.1511Das Bild ist so mit der Wirklichkeit verknüpft; es reicht bis zu ihr.
2.1512Es ist wie ein Maßstab an die Wirklichkeit angelegt.
2.15121Nur die äußersten Punkte der Teilstriche berühren den zu messenden Gegenstand.
2.1513Nach dieser Auffassung gehört also zum Bilde auch noch die abbildende Beziehung, die es zum Bild macht.
2.1514Die abbildende Beziehung besteht aus den Zuordnungen der Elemente des Bildes und der Sachen.
2.1515Diese Zuordnungen sind gleichsam die Fühler der Bildelemente, mit denen das Bild die Wirklichkeit berührt.
2.16Die Tatsache muß, um Bild zu sein, etwas mit dem Abgebildeten gemeinsam haben.
2.161In Bild und Abgebildetem muß etwas identisch sein, damit das eine überhaupt Bild des anderen sein kann.
2.17Was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie auf seine Art und Weise – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist seine Form der Abbildung.
2.171Das Bild kann jede Wirklichkeit abbilden, deren Form es hat.
Das räumliche Bild alles Räumliche, das farbige alles Farbige, etc.
2.172Seine Form der Abbildung aber kann das Bild nicht abbilden; es weist sie auf.
2.173Das Bild stellt sein Objekt von außerhalb dar (sein Standpunkt ist seine Form der Darstellung), darum stellt das Bild sein Objekt richtig oder falsch dar.
2.174Das Bild kann sich aber nicht außerhalb seiner Form der Darstellung stellen.
2.18Was jedes Bild, welcher Form immer, mit der Wirklichkeit, gemein haben muß, um sie überhaupt – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist die logische Form, das ist, die Form der Wirklichkeit.
2.181Ist die Form der Abbildung die logische Form, so heißt das Bild das logische Bild.
2.182Jedes Bild ist auch ein logisches. (Dagegen ist z. B. nicht jedes Bild ein räumliches.)
2.19Das logische Bild kann die Welt abbilden.
2.2Das Bild hat mit dem Abgebildeten die logische Form der Abbildung gemein.
2.201Das Bild bildet die Wirklichkeit ab, indem es eine Möglichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten darstellt.
2.202Das Bild stellt eine mögliche Sachlage im logischen Raume dar.
2.203Das Bild enthält die Möglichkeit der Sachlage, die es darstellt.
2.21Das Bild stimmt mit der Wirklichkeit überein oder nicht; es ist richtig oder unrichtig, wahr oder falsch.
2.22Das Bild stellt dar, was es darstellt, unabhängig von seiner Wahr- oder Falschheit, durch die Form der Abbildung.
2.221Was das Bild darstellt, ist sein Sinn.
2.222In der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seines Sinnes mit der Wirklichkeit besteht seine Wahrheit oder Falschheit.
2.223Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen.
2.224Aus dem Bild allein ist nicht zu erkennen, ob es wahr oder falsch ist.
2.225Ein a priori wahres Bild gibt es nicht.