3 Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke.
3.001»Ein Sachverhalt ist denkbar« heißt: Wir können uns ein Bild von ihm machen.
3.01Die Gesamtheit der wahren Gedanken sind ein Bild der Welt.
3.02Der Gedanke enthält die Möglichkeit der Sachlage, die er denkt. Was denkbar ist, ist auch möglich.
3.03Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch denken müßten.
3.031Man sagte einmal, daß Gott alles schaffen könne, nur nichts, was den logischen Gesetzen zuwider wäre. – Wir könnten nämlich von einer »unlogischen« Welt nicht sagen, wie sie aussähe.
3.032Etwas »der Logik Widersprechendes« in der Sprache darstellen, kann man ebensowenig, wie in der Geometrie eine den Gesetzen des Raumes widersprechende Figur durch ihre Koordinaten darstellen; oder die Koordinaten eines Punktes angeben, welcher nicht existiert.
3.0321Wohl können wir einen Sachverhalt räumlich darstellen, welcher den Gesetzen der Physik, aber keinen, der den Gesetzen der Geometrie zuwiderliefe.
3.04Ein a priori richtiger Gedanke wäre ein solcher, dessen Möglichkeit seine Wahrheit bedingte.
3.05Nur so könnten wir a priori wissen, daß ein Gedanke wahr ist, wenn aus dem Gedanken selbst (ohne Vergleichsobjekt) seine Wahrheit zu erkennen wäre.
3.1Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus.
3.11Wir benützen das sinnlich wahrnehmbare Zeichen (Laut- oder Schriftzeichen etc.) des Satzes als Projektion der möglichen Sachlage.
Die Projektionsmethode ist das Denken des Satz-Sinnes.
3.12Das Zeichen, durch welches wir den Gedanken ausdrücken, nenne ich das Satzzeichen. Und der Satz ist das Satzzeichen in seiner projektiven Beziehung zur Welt.
3.13Zum Satz gehört alles, was zur Projektion gehört; aber nicht das Projizierte.
Also die Möglichkeit des Projizierten, aber nicht dieses selbst.
Im Satz ist also sein Sinn noch nicht enthalten, wohl aber die Möglichkeit, ihn auszudrücken.
(»Der Inhalt des Satzes« heißt der Inhalt des sinnvollen Satzes.)
Im Satz ist die Form seines Sinnes enthalten, aber nicht dessen Inhalt.
3.14Das Satzzeichen besteht darin, daß sich seine Elemente, die Wörter, in ihm auf bestimmte Art und Weise zueinander verhalten.
Das Satzzeichen ist eine Tatsache.
3.141Der Satz ist kein Wörtergemisch. – (Wie das musikalische Thema kein Gemisch von Tönen.)
Der Satz ist artikuliert.
3.142Nur Tatsachen können einen Sinn ausdrücken, eine Klasse von Namen kann es nicht.
3.143Daß das Satzzeichen eine Tatsache ist, wird durch die gewöhnliche Ausdrucksform der Schrift oder des Druckes verschleiert.
Denn im gedruckten Satz z.B. sieht das Satzzeichen nicht wesentlich verschieden aus vom Wort.
(So war es möglich, daß Frege den Satz einen zusammengesetzten Namen nannte.)
3.1431Sehr klar wird das Wesen des Satzzeichens, wenn wir es uns, statt aus Schriftzeichen, aus räumlichen Gegenständen (etwa Tischen, Stühlen, Büchern) zusammengesetzt denken.
Die gegenseitige räumlich Lage dieser Dinge drückt dann den Sinn des Satzes aus.
3.1432Nicht: »Das komplexe Zeichen ›aRb‹ sagt, daß a in der Beziehung R zu b steht«, sondern: Daß »a« in einer gewissen Beziehung zu »b« steht, sagt, daß aRb.
3.144Sachlagen kann man beschreiben, nicht benennen.
(Namen gleichen Punkten, Sätze Pfeilen, sie haben Sinn.)
3.2Im Satz kann der Gedanke so ausgedrückt sein, daß den Gegenständen des Gedankens Elemente des Satzzeichens entsprechen.
3.201Diese Elemente nenne ich »einfache Zeichen« und den Satz »vollständig analysiert«.
3.202Die im Satze angewandten einfachen Zeichen heißen Namen.
3.203Der Name bedeutet den Gegenstand. Der Gegenstand ist seine Bedeutung. (»A« ist dasselbe Zeichen wie »A«.)
3.21Der Konfiguration der einfachen Zeichen im Satzzeichen entspricht die Konfiguration der Gegenstände in der Sachlage.
3.22Der Name vertritt im Satz den Gegenstand.
3.221Die Gegenstände kann ich nur nennen. Zeichen vertreten sie. Ich kann nur von ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht. Ein Satz kann nur sagen, wie ein Ding ist, nicht was es ist.
3.23Die Forderung der Möglichkeit der einfachen Zeichen ist die Forderung der Bestimmtheit des Sinnes.
3.24Der Satz, welcher vom Komplex handelt, steht in interner Beziehung zum Satze, der von dessen Bestandteil handelt.
Der Komplex kann nur durch seine Beschreibung gegeben sein, und diese wird stimmen oder nicht stimmen. Der Satz, in welchem von einem Komplex die Rede ist, wird, wenn dieser nicht existiert, nicht unsinnig, sondern einfach falsch sein.
Daß ein Satzelement einen Komplex bezeichnet, kann man aus seiner Unbestimmtheit in den Sätzen sehen, worin es vorkommt. Wir wissen, durch diesen Satz ist noch nicht alles bestimmt. (Die Allgemeinheitsbezeichnung enthält ja ein Urbild.)
Die Zusammenfassung des Symbols eines Komplexes in ein einfaches Symbol kann durch eine Definition ausgedrückt werden.
3.25Es gibt eine und nur eine vollständige Analyse des Satzes.
3.251Der Satz drückt auf bestimmte, klar angebbare Weise aus, was er ausdrückt: Der Satz ist artikuliert.
3.26Der Name ist durch keine Definition weiter zu zergliedern: er ist ein Urzeichen.
3.261Jedes definierte Zeichen bezeichnet über jene Zeichen, durch welche es definiert wurde; und die Definitionen weisen den Weg.
Zwei Zeichen, ein Urzeichen, und ein durch Urzeichen definiertes, können nicht auf dieselbe Art und Weise bezeichnen. Namen kann man nicht durch Definitionen auseinanderlegen. (Kein Zeichen, welches allein, selbständig eine Bedeutung hat.)
3.262Was in den Zeichen nicht zum Ausdruck kommt, das zeigt ihre Anwendung. Was die Zeichen verschlucken, das spricht ihre Anwendung aus.
3.263Die Bedeutungen von Urzeichen können durch Erläuterungen erklärt werden. Erläuterungen sind Sätze, welche die Urzeichen enthalten. Sie können also nur verstanden werden, wenn die Bedeutungen dieser Zeichen bereits bekannt sind.
3.3Nur der Satz hat Sinn; nur im Zusammenhang des Satzes hat ein Name Bedeutung.
3.31Jeden Teil des Satzes, der seinen Sinn charakterisiert, nenne ich einen Ausdruck (ein Symbol).
(Der Satz selbst ist ein Ausdruck.)
Ausdruck ist alles, für den Sinn des Satzes Wesentliche, was Sätze miteinander gemein haben können.
Der Ausdruck kennzeichnet eine Form und einen Inhalt.
3.311Der Ausdruck setzt die Formen aller Sätze voraus, in welchen er vorkommen kann. Er ist das gemeinsame charakteristische Merkmal einer Klasse von Sätzen.
3.312Er wird also dargestellt durch die allgemeine Form der Sätze, die er charakterisiert.
Und zwar wird in dieser Form der Ausdruck konstant und alles übrige variabel sein.
3.313Der Ausdruck wird also durch eine Variable dargestellt, deren Werte die Sätze sind, die den Ausdruck enthalten.
(Im Grenzfall wird die Variable zur Konstanten, der Ausdruck zum Satz.)
Ich nenne eine solche Variable »Satzvariable«.
3.314Der Ausdruck hat nur im Satz Bedeutung. Jede Variable läßt sich als Satzvariable auffassen.
(Auch der variable Name.)
3.315Verwandeln wir einen Bestandteil eines Satzes in eine Variable, so gibt es eine Klasse von Sätzen, welche sämtlich Werte des so entstandenen variablen Satzes sind. Diese Klasse hängt im allgemeinen noch davon ab, was wir, nach willkürlicher Übereinkunft, mit Teilen jenes Satzes meinen. Verwandeln wir aber alle jene Zeichen, deren Bedeutung willkürlich bestimmt wurde, in Variable, so gibt es nun noch immer eine solche Klasse. Diese aber ist nun von keiner Übereinkunft abhängig, sondern nur noch von der Natur des Satzes. Sie entspricht einer logischen Form – einem logischen Urbild.
3.316Welche Werte die Satzvariable annehmen darf, wird festgesetzt.
Die Festsetzung der Werte ist die Variable.
3.317Die Festsetzung der Werte der Satzvariablen ist die Angabe der Sätze, deren gemeinsames Merkmal die Variable ist.
Die Festsetzung ist eine Beschreibung dieser Sätze.
Die Festsetzung wird also nur von Symbolen, nicht von deren Bedeutung handeln.
Und nur dies ist der Festsetzung wesentlich, daß sie nur eine Beschreibung von Symbolen ist und nichts über das Bezeichnete aussagt.
Wie die Beschreibung der Sätze geschieht, ist unwesentlich.
3.318Den Satz fasse ich – wie Frege und Russell – als Funktion der in ihm enthaltenen Ausdrücke auf.
3.32Das Zeichen ist das sinnlich Wahrnehmbare am Symbol.
3.321Zwei verschiedene Symbole können also das Zeichen (Schriftzeichen oder Lautzeichen etc.) miteinander gemein haben – sie bezeichnen dann auf verschiedene Art und Weise.
3.322Es kann nie das gemeinsame Merkmal zweier Gegenstände anzeigen, daß wir sie mit demselben Zeichen, aber durch zwei verschiedene Bezeichnungsweisen bezeichnen. Denn das Zeichen ist ja willkürlich. Man könnte also auch zwei verschiedene Zeichen wählen, und wo bliebe dann das Gemeinsame in der Bezeichnung.
3.323In der Umgangssprache kommt es ungemein häufig vor, daß dasselbe Wort auf verschiedene Art und Weise bezeichnet – also verschiedenen Symbolen angehört –, oder, daß zwei Wörter, die auf verschiedene Art und Weise bezeichnen, äußerlich in der gleichen Weise im Satze angewandt werden.
So erscheint das Wort »ist« als Kopula, als Gleichheitszeichen und als Ausdruck der Existenz; »existieren« als intransitives Zeitwort wie »gehen«; »identisch« als Eigenschaftswort; wir reden von Etwas, aber auch davon, daß etwas geschieht.
(Im Satze »Grün ist grün« – wo das erste Wort ein Personenname, das letzte ein Eigenschaftswort ist – haben diese Worte nicht einfach verschiedene Bedeutung, sondern es sind verschiedene Symbole.)
3.324So entstehen leicht die fundermentalsten Verwechslungen (deren die ganze Philosophie voll ist).
3.325Um diesen Irrtümern zu entgehen, müssen wir eine Zeichensprache verwenden, welche sie ausschließt, indem sie nicht das gleiche Zeichen in verschiedenen Symbolen, und Zeichen, welche auf verschiedene Art bezeichnen, nicht äußerlich auf die gleich Art verwendet. Eine Zeichensprache also, die der logischen Grammatik – der logischen Syntax – gehorcht.
(Die Begriffsschrift Freges und Russells ist eine solche Sprache, die allerdings noch nicht alle Fehler ausschließt.)
3.326Um das Symbol am Zeichen zu erkennen, muß man auf den sinnvollen Gebrauch achten.
3.327Das Zeichen bestimmt erst mit seiner logisch-syntaktischen Verwendung zusammen eine logische Form.
3.328Wird ein Zeichen nicht gebraucht, so ist es bedeutungslos. Das ist der Sinn der Devise Occams.
(Wenn sich alles so verhält als hätte ein Zeichen Bedeutung, dann hat es auch Bedeutung.)
3.33In der logischen Syntax darf nie die Bedeutung eines Zeichens eine Rolle spielen; sie muß sich aufstellen lassen, ohne daß dabei von der Bedeutung eines Zeichens die Rede wäre, sie darf nur die Beschreibung der Ausdrücke voraussetzen.
3.331Von dieser Bemerkung sehen wir in Russells »Theory of types« hinüber: Der Irrtum Russells zeigt sich darin, daß er bei der Aufstellung der Zeichenregeln von der Bedeutung der Zeichen reden mußte.
3.332Kein Satz kann etwas über sich selbst aussagen, weil das Satzzeichen nicht in sich selbst enthalten sein kann, (das ist die ganze »Theory of types«).
3.333Eine Funktion kann darum nicht ihr eigenes Argument sein, weil das Funktionszeichen bereits das Urbild seines Arguments enthält und es sich nicht selbst enthalten kann.
Nehmen wir nämlich an, die Funktion F(fx) könnte ihr eigenes Argument sein; dann gäbe es also einen Satz: »F(F(fx))« und in diesem müssen die äußere Funktion F und die inner Funktion F verschiedene Bedeutungen haben, denn die innere hat die Form phi(fx), die äußere die Form psi(phi(fx)). Gemeinsam ist den beiden Funktionen nur der Buchstabe »F«, der aber allein nichts bezeichnet.
Dies wird sofort klar, wenn wir statt »F(F(u))« schreiben »(Ephi):F(phiu) . psiu=Fu«. Hiermit erledigt sich Russells Paradox.
3.334Die Regeln der logischen Syntax müssen sich von selbst verstehen, wenn man nur weiß, wie ein jedes Zeichen bezeichnet.
3.34Der Satz besitzt wesentliche und zufällige Züge.
Zufällig sind die Züge, die von der besonderen Art der Hervorbringungen des Satzzeichens herrühren. Wesentlich diejenigen, welche allein den Satz befähigen, seinen Sinn auszudrücken.
3.341Das Wesentliche am Satz ist also das, was allen Sätzen, welche den gleichen Sinn ausdrücken können, gemeinsam ist.
Und ebenso ist allgemein das Wesentliche am Symbol das, was alle Symbole, die denselben Zweck erfüllen können, gemeinsam haben.
3.3411Man könnte also sagen: Der eigentliche Name ist das, was alle Symbole, die den Gegenstand bezeichnen, gemeinsam haben. Es würde sich so successive ergeben, daß keinerlei Zusammensetzung für den Namen wesentlich ist.
3.342An unseren Notationen ist zwar etwas willkürlich, aber das ist nicht willkürlich: Daß, wenn wir etwas willkürlich bestimmt haben, dann etwas anderes der Fall sein muß. (Dies hängt von dem Wesen der Notation ab.)
3.3421Eine besondere Bezeichnungsweise mag unwichtig sein, aber wichtig ist es immer, daß diese eine mögliche Bezeichnungsweise ist. Und so verhält es sich in der Philosophie überhaupt: Das Einzelne erweist sich immer wieder als unwichtig, aber die Möglichkeit jedes Einzelnen gibt uns einen Aufschluß über das Wesen der Welt.
3.343Definitionen sind Regeln der Übersetzung von einer Sprache in eine andere. Jede richtige Zeichensprache muß sich in jede andere nach solchen Regeln übersetzen lassen: Dies ist, was sie alle gemeinsam haben.
3.344Das, was am Symbol bezeichnet, ist das Gemeinsame aller jener Symbole, durch die das erste den Regeln der logischen Syntax zufolge ersetzt werden kann.
3.3441Man kann z.B. das Gemeinsame aller Notationen für die Wahrheitsfunktion so ausdrücken: Es ist ihnen gemeinsam, daß sich alle – z.B. – durch die Notation von »~p« (»nicht p«) und »p v q« (»p oder q«) ersetzen lassen.
(Hiermit ist die Art und Weise gekennzeichnet, wie eine spezielle mögliche Notation uns allgemeine Aufschlüsse geben kann.)
3.3442Das Zeichen des Komplexes löst sich auch bei der Analyse nicht willkürlich auf, so daß etwa seine Auflösung in jedem Satzgefüge eine andere wäre.
3.4Der Satz bestimmt einen Ort im logischen Raum. Die Existenz dieses logischen Ortes ist durch die Existenz der Bestandteile allein verbürgt, durch die Existenz des sinnvollen Satzes.
3.41Das Satzzeichen und die logischen Koordinaten: Das ist der logische Ort.
3.411Der geometrische und der logische Ort stimmen darin überein, daß beide die Möglichkeit einer Existenz sind.
3.42Obwohl der Satz nur einen Ort des logischen Raumes bestimmen darf, so muß doch durch ihn schon der ganze logische Raum gegeben sein.
(Sonst würden durch die Verneinung, die logische Summe, das logische Produkt, etc. immer neue Elemente – in Koordination – eingeführt.)
(Das logische Gerüst um das Bild herum bestimmt den logischen Raum. Der Satz durchgreift den ganzen logischen Raum.)
3.5Das angewandte, gedachte Satzzeichen ist der Gedanke.